Volkhard Krech | Essay |

Forum Religion und Moderne (2): Die Lage der Religion in der modernen Gesellschaft unter der Bedingung der Zurechnung auf Personen

Ein systemtheoretischer Kommentar

Franz-Xaver Kaufmann zufolge kann man das zur Diskussion stehende Buch »[n]icht nur wegen seines Umfangs […] als opus magnum bezeichnen« (Kaufmann 2015: 1). Die Arbeit setzt einen Forschungsstrang fort, den insbesondere Detlef Pollack seit Jahrzehnten verfolgt, und kann mit Recht als das bislang bedeutendste Werk der beiden Autoren gelten. Zentraler Bezugspunkt sind Fragen der Säkularisierung. Dieser Fokus ist kaum zu überschätzen, denn er ist innerhalb der Religionssoziologie mittlerweile alles andere als selbstverständlich. Die Religionssoziologie hat sich zusammen mit anderen an der Religionsforschung beteiligten Fächern nicht selten in eine Art von >Vulkanologie des Religiösen< verwandelt, die überall Religiöses >explodieren< sieht (vgl. stellvertretend für viele Heelas/Woodhead 2005; Knoblauch 2009). Bedingungen, Modi und Folgen der Säkularisierung müssen ein wichtiger religionssoziologischer Forschungsgegenstand bleiben, um Wandlungsprozesse unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung als eines der wichtigsten Kennzeichen moderner Gesellschaft in den Blick zu bekommen. Ebenso redlich und löblich ist, dass sich die Autoren auch mit anderen Erklärungsansätzen von Religion und ihrer Lage in der Moderne auseinandersetzen und statt eines »Masternarrativs […] die Entwicklung einer Vielzahl von unterscheidbaren und flexibel miteinander kombinierbaren Theorieelementen« beabsichtigen (461). Im Folgenden beleuchte ich einige der Themen und Ansätze, die das reichhaltige Buch behandelt, eigenständig entwirft oder zumindest impliziert, aus systemtheoretischer Sicht. Dabei beschränke ich mich – dem Wunsch der Redaktion [der ZTS; KM] folgend – auf methodologische und theoretische Aspekte.

1 Zum theoretischen Ansatz

Die beiden Autoren nehmen in theoretischer Hinsicht eine unvoreingenommene Perspektive ein. Weder unterstellen sie, »dass Modernisierung zwangsläufig einen negativen Effekt auf die Bedeutung von Religion in der Gesellschaft hat und automatisch zu Säkularisierung führt«, noch gehen sie davon aus, »dass die Rolle der Religion in modernen Gesellschaften allein von Prozessen der Modernisierung beeinflusst wird« (29). Wie bei jedem Ansatz werden auch in diesem Fall theoretische Vorentscheidungen getroffen. Aber sie werden ausgewiesen, diskutiert, abgewogen und vor allem multi-perspektivisch kombiniert.

1.1 Modernisierungstheorie

Der Ausgangspunkt für den multi-perspektivischen Ansatz besteht darin, dass die Moderne eine Vielzahl von Merkmalen auszeichnet, »von denen keines die Bedeutung einer Letztbegründung besitzt« (27). Je nach modernisierungstheoretischem Ansatz gehören dazu Sachverhalte wie Industrialisierung, Kapitalismus, Massenkonsum, demokratisches Repräsentativsystem mit Gewaltenteilung und staatlichem Machtmonopol, Ausprägung verschiedener, gleichberechtigter Werthaltungen, Subjektivierung und anderes mehr. Zudem ist es wichtig zu beachten, dass die gesellschaftliche Evolution keine unilineare Entwicklung bedeutet. Mit Talcott Parsons schließen Pollack und Rosta »die Überlebensfähigkeit von Systemen auf niedrigerer Evolutionsstufe nicht aus« (27). Damit ist die Möglichkeit unterschiedlicher Zustände auf der Mikro-, Meso- und Makro-Ebene impliziert. Dann aber ist es eine vielleicht etwas ungünstige Formulierung, wenn von >Tradition< und >Moderne< als einander ablösende »Epochen« die Rede ist (25, 27). >Traditional< und> modern< sind eher Attribute, die sich wechselseitig bestimmen und in einer Oszillation stehen, als zur Kennzeichnung epochalen Wandels geeignet. Bereits Edward Tylor (1871) hat mit dem Konzept des survival darauf hingewiesen, dass sich Tradition und Moderne nicht ausschließen. Weder verschwindet Tradition mehr oder minder zwangsläufig mit zunehmendem Modernisierungsgrad, noch sind in früheren Phasen gesellschaftlicher Entwicklung Modernisierungsschübe ausgeschlossen. In diesem Sinne handelt es sich bei einigen der Eigenstrukturen der modernen Gesellschaft (in der Tendenz: der Weltgesellschaft) »um Strukturmuster, die bis in die Antike und das europäische Mittelalter zurückgehen« (Stichweh 2006: 241) und somit, wenn man die moderne Gesellschaft in der Sattelzeit 1750–1850 beginnen lässt, heute eher traditionale Elemente sind. Gleiches gilt für gesellschaftsstrukturelle Entwicklungen in anderen Weltregionen. »A mistake of great historical significance has been made in modern times in the construction of a doctrine which treated traditions as the detritus of the forward movement of society« (Shils 1981: 330). Es geht weniger um die Ablösung von Tradition durch Moderne, sondern mehr um die Komplexität steigernde Schichtung von Prozessen auf der gesellschaftlichen Mikro-, Meso-, und Makro-Ebene. Wenn man eine Diskontinuität (‚epochale Zäsuren‘) ausmachen will, gründet sie am ehesten in der Forcierung der je eigenen Rationalität gesellschaftlicher Bereiche (funktionale Differenzierung), was auch Pollack und Rosta herausstellen, sowie in den einschneidenden Entwicklungen in der Mobilitäts- und Informationstechnologie seit dem 19. Jahrhundert (Stichweh 2008). Diese Faktoren steigern heute gesellschaftliche Komplexität in einem bislang nicht gekannten Ausmaß, und sie sind es, die gesellschaftliche Evolution dynamisieren – was immer sie für Menschen als Teil der gesellschaftlichen Umwelt bedeuten mögen.[1]

1.2 Religionstheorie

Nachdem sich Pollack und Rosta zu Recht gegen die Auflösung des Religionsbegriffs in einen Begriff von Kultur gewendet haben, schließen sie sich der geläufigen Weise an, Religion polythetisch zu definieren. Zugleich sind sie sich des entsprechenden Problems bewusst, nämlich »dass oft unklar bleibt, ob alle angegebenen Merkmale für die Definition des Gegenstands unverzichtbar sind, oder ob auch bei Vorliegen einer Auswahl von Merkmalen die Definition bereits als hinreichend angesehen werden kann und wie viele Merkmale in einem solchen Fall erforderlich sind« (63). Sie schlagen eine Lösung vor, die »zwischen einer funktionalistischen Perspektive, die stets möglich, aber nicht erforderlich ist, und einer unverzichtbaren substantiellen Herangehensweise unterscheidet. […] Während mit der Angabe des Bezugsproblems der Religion der funktionale Ansatz gewählt wird, stellt die Bestimmung der Art und Weise, in der Religion mit dem ausgemachten Problem umgeht, eine Form der substantiellen Analyse dar«. (63)

Das Problem von substantiellen Ansätzen zur Erfassung von Religion besteht bekanntlich in der Gefahr der Essentialisierung von Religion und darin, einige Aspekte unter Ausblendung anderer zu erfassen. Die Schwierigkeit einer rein funktionalen Bestimmung von Religion liegt hingegen darin, dass sie »ihr Objektfeld zu weit fasst und auch Phänomene in ihren Erfassungsbereich mit aufnimmt, die selbst bei einem weiten Religionsverständnis nicht als Religion zu begreifen sind« (57). Das ist etwa bei der Funktionsbestimmung der Kontingenzbearbeitung der Fall, wenn Kontingenz in dem ganz allgemeinen Sinne verstanden wird, »dass etwas möglich, aber nicht notwendig ist, dass etwas ist, was es ist, aber auch ganz anders sein könnte« (63, mit Bezug auf Aristoteles). Pollack und Rosta betonen zu Recht: »Das Kontingenzproblem selbst kann wohl kaum als religiös bezeichnet werden [...], denn Sinnlosigkeit, Leid und Zufälligkeit oder auch Glück und Erfolg stellen Dimensionen der menschlichen Existenz dar, die nicht als solche religiös sind, und es gibt die verschiedensten Formen des Umgangs mit Kontingenzproblemen « (65). Ob Kontingenz allerdings nur oder zumindest im Wesentlichen auf »die menschliche Existenz« bezogen ist, ist fraglich. In soziologischer Perspektive ist Kontingenz mindestens ebenso ein sozialstruktureller und gesellschaftlicher Sachverhalt.[2] Versicherungen können abgeschlossen werden, um die finanziellen Folgen von Unglücken zu kompensieren, aber verhindern können sie leidvolle Ereignisse nicht. Kriege, Epidemien, Naturkatastrophen und Unfälle geschehen trotzdem. Die Medizin tut ihr Bestes, doch oft genug kann sie Krankheit nicht vermeiden oder heilen. Aber auch im Falle von positiver Kontingenz wie Rettung, Gesundung, Vermeidung usw. müssen Formen gefunden werden, um mit dem Erfahrungsüberschuss sinnhaft zu verfahren. Technische und soziale Utopien können eine regulative Idee für politische, rechtliche und wirtschaftliche Prozesse sein, aber einen entsprechenden Fortschritt können sie nicht garantieren; und nicht selten verwandeln sie sich sogar in ihr Gegenteil. Für die Verarbeitung von besonderen emotionalen Erfahrungen wie etwa Trauer und Glück halten die Kunst und Intimbeziehungen Möglichkeiten bereit – aber nur in begrenztem Maße, und vor Enttäuschungen ist man auch hier nicht gefeit. Vielen Eltern schwebt das Erziehungsideal einer freien Persönlichkeit vor, aber wie sich ihre Kinder entwickeln, haben sie, wenn überhaupt, nur begrenzt in der Hand. Politik mag nur Gutes wollen, muss sich aber stets um die Herrschaftssicherung kümmern und kann sie nur begrenzt kontrollieren. Ein gelingendes Kunstwerk kann nicht geplant werden, sondern entsteht oder eben nicht. Gleiches gilt für Liebes- und Freundschaftsbeziehungen. Kurzum: Die Erfahrung, dass die Welt nicht im Verfügbaren und Kontrollierbaren aufgeht, ist allen (sozial-)technischen Phantasien zum Trotz gesellschaftlich omnipräsent, ist es seit den Anfängen soziokultureller Evolution und wird es, solange es Gesellschaft in der uns bekannten Ausprägung gibt, auch bleiben. Wenn man in funktionaler Perspektive also Religion als gesellschaftliche Kontingenzbearbeitung bestimmt, muss angegeben werden können, worin das religiöse Spezifikum im Unterschied zu anderen Formen der Kontingenzbearbeitung besteht. Diese Frage führt zu semantischen Aspekten von Religion.

Mit Blick auf den substantiellen Teil der Religionsdefinition gehen Pollack und Rosta mit Luhmann von der Unterscheidung transzendent/immanent aus. Dabei halten sie zwei wichtige Aspekte fest. Zum einen handelt es sich um eine Unterscheidung, deren Glieder sich nur relational und nicht je für sich bestimmen: »Die inhaltliche Bestimmung von Religion besteht [...] nicht nur darin, dass ein von der Immanenz unterschiedener Bereich der Transzendenz aufgemacht wird, sondern auch darin, dass dieser Bereich des Unzugänglichen kommunikativ zugänglich, anschaulich, fassbar, verstehbar gemacht wird und damit alltagsweltliche Relevanz erhält «. (71)

Zum zweiten betonen sie, dass es sich um eine formale Unterscheidung handelt, die inhaltlich sozio-kulturell variiert: »Was als Transzendentes fungiert, hängt von den jeweiligen Normalitätsunterstellungen ab, die historisch, kulturell und individuell variieren. Mit der Festlegung von Religion auf die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz ist nur klar, dass Religionen den jeweils unterschiedlich definierten Bereich des empirisch Fassbaren überschreiten« (66).

So weit, so überzeugend. Allerdings sind mit dem Auseinanderziehen von funktional und substantiell in optional und unverzichtbar, wie das Pollack und Rosta vorschlagen, zwei Folgeschwierigkeiten verbunden. Zum einen: Warum sollte für die Gesellschaft Religion lediglich als Option von Bedeutung sein? Jedenfalls in einer systemtheoretisch gehaltenen Gesellschaftstheorie ist ein jeweils bestimmtes gesellschaftliches Bezugsproblem der in der Retrospektive auf gesellschaftliche Evolution notwendige Bezugspunkt der Emergenz von gesellschaftlichen Funktionssystemen und also der notwendige Fokus wissenschaftlicher Rekonstruktion. Religion antwortet auf das gesellschaftlich generell bestehende Bezugsproblem der Kontingenz mit der Bearbeitung auf der Grundlage der Unterscheidung transzendent/immanent.

Zum zweiten: Wenn die beiden Definitionselemente der letztinstanzlichen Kontingenzbearbeitung und der Unterscheidung transzendent/immanent in der Theorie nicht systematisch aufeinander bezogen werden, unterliegt nicht nur die Funktionsbestimmung von Religion als Kontingenzbewältigung, sondern auch die Unterscheidung transzendent/ immanent der Gefahr eines inflationären Gebrauchs. Sowohl in der gesellschaftlichen Kommunikation insgesamt als auch in der Religion geht es um Transzendieren – nicht nur, sondern mit Blick auf die Religionsgeschichte weit über die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht christlich-semantische Bestimmung von Transzendenz hinaus in einem ganz allgemeinen, modal- und erfahrungstheoretischen Sinne: nämlich um den Verweis auf etwas, was nicht in der Erfahrung des Hier und Jetzt präsent ist. Das liegt am transzendierenden Charakter der Sprache im Allgemeinen als dem elementaren gesellschaftlichen Kommunikationsmedium (Rentsch 2003). Und das dürfte auch der größte gemeinsamer Nenner dessen sein, was die philosophische Anthropologie (insbesondere Helmuth Plessner [1975]), die sozialphänomenologisch orientierte Soziologie (Alfred Schütz [1932: 109], Peter L. Berger und Thomas Luckmann [1966, 1967] sowie Hans-Georg Soeffner [2010]) und die pragmatische Religionstheorie (Hans Joas [2004]) unter Transzendieren verstehen. Aber auch soziale Systeme verfügen über eine »immanente Transzendenz des Erlebens« (Luhmann 1971: 31). Diesem allgemeinen Verständnis zufolge existieren viele Arten des Transzendierens: neben Religion auch Zeichenprozesse im Allgemeinen, Sozialität (das Bewusstsein Alter Egos), Geschichte, ideale Ordnungsvorstellungen, Zukunft, Träume, überraschende Erlebnisse und Ereignisse, die Kunst, die Liebe usw.[3] Wenn man nicht zwischen dem Prinzip des Transzendierens im Allgemeinen und seiner religiösen Ausprägung unterscheidet, dann ist alles außerhalb der unmittelbaren Erfahrung des Hier und Jetzt religiös, und so werden des Nachts alle Katzen grau.[4]4 Das wollen Pollack und Rosta vermeiden, können das aber mit dem Vorschlag der Unterscheidung von möglichem Bezugsproblem und unverzichtbarer Unterscheidung transzendent/immanent nicht verhindern.

Mit Blick auf das empirische religionsgeschichtliche Material und konzeptionelle Überlegungen erscheint es mir sinnvoll, mit Luhmann diejenige Art des Transzendenzbezugs, die Religion genannt werden kann, von anderen Arten auf folgende Weise zu unterscheiden: Religion hat es mit dem Problem zu tun, wie die prinzipiell nicht darstellbare Transzendenz mit immanenten Mitteln bezeichnet, also prinzipiell Abwesendes in Anwesendes, Unverfügbares in Verfügbares bzw. kommunikationstheoretisch gewendet: Unsagbares in Sagbares transformiert werden kann. In dieser Weise bewältigt Religion die Aufgabe der Kontingenzbearbeitung, nämlich »die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Welthorizontes in Bestimmtheit oder doch Bestimmbarkeit angehbaren Stils [zu] überführen« (Luhmann 1972: 11). Damit ist die Unterscheidung transzendent/immanent systematisch mit der gesellschaftlichen Aufgabe verknüpft, letztinstanzlich Kontingenz zu bewältigen. Die Spezifik von Religion besteht nur in der Kombination beider Bestimmungselemente, und umgekehrt bestimmen sich die Bearbeitung von Kontingenz und die Unterscheidung transzendent/immanent ausschließlich in der Kombination als religiös. Religion hat »im Bereich der Unbeobachtbarkeit, in dem Beobachten und Welt als Voraussetzung des Beobachtens nicht unterschieden werden können (im unmarked state also), den Ausgangspunkt der Probleme, die dann als Sinnformen der Religion behandelt und der Evolution ausgesetzt werden« (Luhmann 2002 [2000]: 31). Statt der Unterscheidung zwischen der Option einer funktionalen Perspektive auf die Bearbeitung von Kontingenz und der Unverzichtbarkeit des substantiellen Blicks auf die Unterscheidung transzendent/immanent ist es vielleicht zweckmäßiger, zwischen einem intensionalen Religionsbegriff, der den Begriffsinhalt angibt, und einem extensionalen Religionsbegriff, der sich auf den Begriffsumfang bezieht, zu unterscheiden, um der Schwierigkeit einer polythetischen Definition zu begegnen. Zum intensionalen Religionsbegriff gehört dann die systematische Kombination von letztinstanzlicher Kontingenzbearbeitung und der Unterscheidung transzendent/immanent. Von hier aus können extensionale Religionsbegriffe Weisen der semantischen Konkretion der Unterscheidung transzendent/immanent und verschiedene Konkretionen der Kontingenzbearbeitung umfassen.[5] Zudem korrespondiert die Unterscheidung zwischen funktionaler und substantieller Perspektive – statt mit der Differenz von optional und unverzichtbar – besser mit der wissenssoziologischen Unterscheidung zwischen Semantiken (was) und sozialen Strukturen (wie), was sich auch religionssoziologisch nahe legt, wenn man Religion als einen gesellschaftlichen Sachverhalt verstehen will. Religion bewältigt als gesellschaftliches Subsystem Kontingenz mit semantischen Mitteln, die sich auf die Unterscheidung transzendent/immanent beziehen, und sie tut das innerhalb von sozialen Strukturen (von der Form Person über das Ritual bis zur formalen Organisation), die das Verhältnis von Erweiterung und Einschränkung religiöser Kommunikation regeln.

Vielleicht ist mein Insistieren auf die Schwierigkeiten des Auseinanderziehens von funktional und substantiell (oder eher formal) in optional und unverzichtbar überbetont. Immerhin schreiben Pollack und Rosta an anderer Stelle, an der davon nichts zu spüren ist: »Die Formulierung eines Religionsbegriffes, wie er hier entwickelt wurde, erlaubt es, Quellen religionsinterner Dynamik anzugeben. Sie liegen dem hier entwickelten Ansatz zufolge einmal in der modalen wechselseitigen Bezogenheit von Kontingenzproblem und Kontingenzbewältigungspraxis, zum anderen in der unausweichlichen Dialektik von Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit des Transzendenten«. (70)

Und: »Durch Bezug auf das Kontingenzproblem können religiöse Vorstellungen, Praktiken und Erfahrungen mit nichtreligiösen Kontingenzbewältigungsformen vergleichbar gemacht und die analytischen Perspektiven ausgeweitet werden« (71). Es mag sein, dass die Unterscheidung zwischen optional und unverzichtbar mit Blick auf die Differenz des funktionalen und des substantiellen Anteils des Religionskonzepts der beiden Autoren in der Durchführung der Analysen relativ folgenlos ist.

Worauf es aber in jedem Fall ankommt, ist, dass Religion in der Perspektive des vorgeschlagenen Konzepts keine anthropologische Größe und erst recht keine anthropologische Konstante ist, sondern eine gesellschaftliche Funktion. Für einzelne Personen ist Religion optional, für die Gesellschaft in der uns bekannten Form hingegen ist sie notwendig. Wie einzelne Menschen mit der Tatsache der Kontingenz umgehen, ist – jedenfalls unter den Bedingungen forcierter Individualität als einer gesellschaftlichen Zurechnungsweise – ihnen überlassen, aber gesellschaftlich führt Kontingenz über kurz oder lang zu ihrer Bearbeitung in einer Form, die auf der Unterscheidung transzendent/immanent basiert. Das ist eine theoretische Annahme, wenn nicht gar ein Axiom, das wiederum von gesellschaftstheoretischen Voraussetzungen abhängt. In gesellschaftstheoretischer Hinsicht systemtheoretischer Ausprägung ist Religion eine eigenständige Sinnform, die auf der Basis der Unterscheidung transzendent/immanent operiert, und als ein gesellschaftliches Subsystem zugleich eine Funktion der letztinstanzlichen Kontingenzbearbeitung. Sie produziert, reproduziert und entwickelt die Welt vollständig unter dem spezifischen Gesichtspunkt der Kontingenzbearbeitung mit den Mitteln der Unterscheidung transzendent/immanent. Nur auf diese Weise kann Gesellschaft den für sie notwendigen Welthorizont als Markierung der Grenze zu ihrem nicht erreichbaren Gegenüber ausbilden. Diese beiden Perspektiven sind zwei Seiten derselben Medaille, und die Doppelheit von eigenständiger Sinnform und gesellschaftlichem Subsystem ist nicht mit der aristotelischen Unterscheidung von Teil und Ganzem zu fassen, sondern als Interdependenzunterbrechung durch Grenzziehung angesichts gesteigerter Komplexität der sozio-kulturellen Wirklichkeit zu verstehen. Wenn man Modernisierung – wie oben angedeutet – als Komplexitätssteigerung versteht, bei der Differenzierung rekursiv weitere Differenzierung erzeugt, liegt die Frage nahe, wie die moderne Gesellschaft Komplexität reguliert und reduziert. In dieser Frageperspektive wiederum kommt aus gesellschaftstheoretischen Gründen Religion ins Spiel, wenn man sie, wie von den Autoren vorgeschlagen, als Kontingenzbewältigung mit dem Mittel der Unterscheidung transzendent/immanent konzipiert. Denn mit gesteigerter Komplexität nimmt ebenso Kontingenz zu, so dass auch die Anforderungen an ihre letztinstanzliche Bewältigung wachsen.

Allerdings ist Religion selbst eine kontingente Form der Kontingenzbearbeitung. Das steht auch Pollack und Rosta klar vor Augen: »In der religiösen Gewissheit wird als Einheit erfahren, was sich analytisch trennen lässt, damit aber seinen unbezweifelbaren Gewissheitscharakter verliert. Angesichts der Gleichzeitigkeit von Immanenz und Transzendenz jeder religiösen Sinnform ist das Gewissheitsproblem jedoch stets latent. Es kann aufbrechen vor allem in Situationen der Konkurrenz und Pluralität und scharfe Gestalt annehmen. In Situationen der Herausforderung ist es daher für Religionen notwendig, die Kontingenz ihrer Vorstellungen und Praktiken durch Sakralisierung zu invisibilisieren, ihre Formen mit Unüberbietbarkeitsansprüchen auszustatten, als unerreichbar hinzustellen, Kommunikationsbarrieren aufzurichten, Einschränkungen der Diskursivität vorzunehmen, Zonen des Geheimnisvollen zu konstituieren, Autoritäten zu etablieren, innere Zirkel, und, wenn alles nichts hilft, den Ungläubigen zu exkommunizieren. Nur durch diese Barrieren der Kommunikation lassen sich die religiösen Formen gegen Kritik und Zweifel schützen«. (69)

Von außen gesehen, bestehen in der kontingenten Bearbeitung von Kontingenz ein fundamentaler Widerspruch von Religion und zugleich eine interne Quelle religionsgeschichtlicher Dynamik – mindestens relativ unabhängig von Vorgängen in der Umwelt von Religion.

2 Zur Operationalisierung

Bei der Operationalisierung des theoretischen Ausgangspunktes schließen Pollack und Rosta an den Vorschlag von Charles Glock an, Dimensionen von Religion zu unterscheiden. Zwar setzen die Autoren hier eigene Akzente (zum Beispiel, indem sie die Wissensdimension ausschließen und zusätzlich die Identifikations- oder Zugehörigkeitsdimension aufnehmen; vgl. 68), aber insgesamt bewegt sich das Vorgehen im Rahmen der gewohnten Diskussion quantitativer Religionsforschung. Die Dimensionierung im Rahmen der Analyse von Umfragedaten führt, wie in der quantitativen Religionsforschung ebenfalls üblich, zu einem methodologischen Individualismus, ohne dass die Autoren das ausdrücklich schreiben. Das kommt an zahlreichen Stellen zum Ausdruck; etwa dann, wenn im Zusammenhang mit der »Differenz zwischen dem Glauben an einen personalen Gott und an ein höheres Wesen« vom »psychischen Haushalt des Individuums« die Rede ist (134). An einigen Stellen scheint sogar etwas von der alten Religionsphänomenologie durch – etwa dann, wenn es heißt: »In der Vorstellungs- und Erfahrungsdimension erlebt der Mensch diese Einheit [von Immanenz und Transzendenz; VK] als ein Gefühl des Überwältigtseins, als etwas, das ihm unverfügbar erscheint und anscheinend unmanipulierbar auf ihn zukommt, als mit höchster Evidenz ausgestattete Überzeugung, als der Diskursivität entzogene unmittelbar einleuchtende Vorstellung, als ergreifende Erfahrung« (68f.). Doch ist »das Individuum« oder »der Mensch« samt Erfahrungen der beschriebenen Art keine ontologisch feststehende Größe, sondern, in der Terminologie Georg Simmels, eine »Kreuzung sozialer Kreise« (Simmel 1992: 456–511), ein Rollenbündel gesellschaftlicher Erwartungen und Erwartungserwartungen. In soziologischer Perspektive ist »der Mensch« oder »das Individuum« eine kommunikative Zurechnungsinstanz, wie Simmel ebenfalls formuliert: »Eine That wird mir >zugerechnet<, wie ein Posten einem Konto zugerechnet oder >zugeschrieben< wird, d.h. als zu ihm gehörig erkannt, als Theil dieser Einheit und Gesammtheit behandelt; nur wenn die Handlung als ein Theil meines Ich erkannt, d.h. zu mir gerechnet wird, wird sie mir zugerechnet« (Simmel 1991 [1893]: 136). Pollack und Rosta weisen unter Rekurs auf Luhmann auf das Steigerungsverhältnis von Gesellschaft und Individuum hin (43). Die wechselseitige Steigerung ist jedoch nur deshalb möglich, weil es sich um »Exklusionsindividualität« handelt, d.h., weil das Individuum zur Umwelt von Gesellschaft gehört.[6] Daher ist es nicht ohne Schwierigkeiten, innerhalb soziologischer Analysen von Religion »das Individuum« oder »den Menschen« als Bezugsgröße zu wählen. Was Kurt Röttgers (2012: 16f.) über anthropologisch fundierte Sozialphilosophien schreibt, gilt für jede Wissenschaft, die meint, »den Menschen« zu ihrem Gegenstand machen oder auch nur als relevanten Faktor der Forschungsgegenstände ansehen zu können: »Sozialphilosophien, die versuchen, vom Menschen auszugehen, halsen sich mehrere Probleme auf. Sie müßten zunächst klären, was dieser >Mensch< ist. Ist er Objekt oder gar Subjekt eines praktischen Humanismus, d.h. eine Zurechnungseinheit, und wer ist dann auf welcher Grundlage berechtigt, eine solche Zurechnung vorzunehmen, die heute allein noch mögliche, aber zirkuläre Antwort lautet: das ist der Mensch; oder ist der Mensch das, wofür die Humanmediziner oder gar die Biopolitiker zuständig erklärt worden sind, letztlich also der Mensch als ein durch einen bestimmten Genpool definierter Organismus, oder wollen wir unter einem Menschen das verstehen, was die philosophische Anthropologie vor 200 Jahren erfunden hat, sei er nun mit Gehlen als Mängelwesen, sei er mit Plessner als Exzentriker verstanden. Aber selbst angenommen, es gelänge in überzeugender Weise, die anthropologischen und humanistischen Vorannahmen zu klären, und selbst die moralische, ob der Mensch von seiner ersten oder zweiten Natur aus gut oder böse oder gemischt wie ein Schachbrett sei, bleibt doch immer noch unklar, wie aus einem so konstruierten Menschen (den so konstruierten Menschenbildern) Soziales oder gar eine ganze Gesellschaft hergeleitet werden kann.« Doch entgegen Vorbehalten dieser Art hat es sich in der Religionsforschung weitgehend durchgesetzt, >den Menschen‹ als zentrale Bezugsgröße zu wählen. Dann aber handelt es sich nicht um Religionsforschung, sondern um Menschenforschung.[7] Wenn in wissenschaftlicher Beschreibung zuvorderst oder gar ausschließlich auf Individuen bzw. Menschen zugerechnet wird, können Differenzierungsprozesse nicht in den Blick kommen; weder diejenigen zwischen sozio-kultureller Wirklichkeit und externalisierter Natur noch solche zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen mit unterschiedlichen Systemrationalitäten. Ein> Mensch< ist stets ein Amalgam aus zahlreichen verschiedenen systemischen Prozessen – aus physischen, chemischen, organischen und psychischen Abläufen. Daher gehören Menschen bzw. Individuen in die Umwelt der Gesellschaft und so auch in die Umwelt von Religion.[8] Sie können gesellschaftlich und entsprechend auch religiös fremdreferentiell adressiert werden – gesteigert im Falle einer »Individuen-Religion«, die auf subjektive Innerlichkeit abstellt –, müssen es aber nicht und können daher nicht die zentrale Bezugsgröße für die Analyse von Religion sein.

Die Unterscheidung von Gesellschaft sowie Religion einerseits und Individuen bzw. Menschen andererseits scheint auch hier und da in den Analysen von Pollack und Rosta auf; etwa, wenn sie schreiben: »Für die Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz stehen unterschiedliche religiöse Sinnformen bereit: Rituale, Gebete, Meditationen, Ikonen, Schreine, Altäre, Prozessionen, Predigten, heilige Schriften usw. Diese Sinnformen werden individuell angeeignet und gewinnen dadurch affektive, kognitive und evaluative Relevanz«. (67)

Religionssoziologisch ist es mindestens ebenso interessant zu fragen, wie solche Sinnformen als soziale Einheiten entstehen und wirken, ohne »individuell angeeignet« zu werden (auch wenn selbstverständlich stets psychische Prozesse als Umweltbedingung beteiligt sein müssen). Individuelle Aneignung ist, wie notiert, lediglich eine Form kommunikativer Adressierung unter anderen. Nimmt man nur diese Form in den Blick, wird der religionssoziologische Blick auf eine Weise eingeschränkt, die auf die falsche Fährte führen kann, alles Sozio-Kulturelle für eine Frage individueller Perzeption, individueller Evaluation und individuellen Verhaltens zu halten. Das tun Pollack und Rosta nicht, denn im Rahmen methodischer Erwägungen unterscheiden sie die »sozialstrukturellen, politischen, ökonomischen und rechtlichen Kontextbedingungen« vom »Handeln der Individuen« (16). Dann aber haben diese Kontextbedingungen, zu denen auch Religion zählt, Eigenstrukturen, die weder einzeln noch statistisch aggregiert im »Handeln von Individuen« sowie in individuell zugerechneten Erfahrungen und Vorstellungen aufgehen. Empirische Analysen von Umfragen sind auf die Form individueller Aneignung von religiösen Vorstellungen, Erfahrungen und Praktiken beschränkt, denn in ihnen werden Personen adressiert. Für theoretische Fragen jedoch, wie sie Pollack und Rosta behandeln, braucht es neben dem fremdreferentiellen Rekurs auf die individuelle, also außergesellschaftliche Aneignung von Religion auch den Blick auf Religion als einen gesellschaftlichen Sachverhalt selbst sowie auf ihre Wirkung in der gesellschaftlichen Umwelt. Andernfalls interessiert man sich nur für die Folgen von Religion für Menschen, wie das etwa Max Weber tut; in den Worten von Wilhelm Hennis (1987: 90): »Was wird aus dem Menschen, was folgt für ihn, wenn die religiösen Vorstellungen, ein Faktor neben vielen anderen, aber eben ein besonders durchschlagender, den Menschen mit besonderer Wucht ergreifender, seine Lebensführung in diese oder jene Richtung leitet.« Auch unter den Bedingungen, dass sich Menschen immer weniger für Religion interessieren, kann man nach den Folgen für die Lebensführung fragen. Konsequenterweise verfügt Weber erklärtermaßen weder über einen Religions- noch übrigens über einen Gesellschaftsbegriff.[9] Ein Ansatz, der Menschen bzw. Individuen als Bezugsgröße wählt, steht in einer ehrwürdigen soziologischen Tradition und kann das wichtige Thema der Folgen von Religion für Einzelne sowie der individuellen Haltungen gegenüber Religion in den Blick nehmen, aber nichts über Religion als ein gesellschaftliches Subsystem und ihre bestehende oder fehlende gesellschaftliche Funktion aussagen.[10]

3 Zur Auswertung der Befunde und zu theoretischen Schlussfolgerungen

Auf die Auswertung der reichhaltigen Befunde kann ich – wegen der redaktionellen Bitte der Konzentration auf methodologische und theoretische Fragen und aus Platzgründen – nicht en detail eingehen. Ich beschränke mich auf die beiden Bestandteile des zugrunde gelegten Religionskonzepts und entsprechende theoretische Schlussfolgerungen.

3.1 Die religiöse Bearbeitung von Kontingenz

Auf die Frage, wie es angesichts von Modernisierungsprozessen um die religiöse Bearbeitung von Kontingenz steht, kommen Pollack und Rosta in ihren empirischen Analysen im Zusammenhang des Vergleichs von evangelikalen und enthusiastisch-pfingstlerischen Gruppen zu sprechen. Ihnen sei »die Ausschaltung von Kontingenz und die Aufrichtung eines Infallibilitätsanspruches« gemeinsam (407). Etwas allgemeiner formulieren die Autoren: Sofern es den »auf Exklusion, absolute Geltung und Überformung aller Lebensbereiche setzenden religiösen Gruppenkulturen […] nicht gelingt, Anteil an universalistischen Werten zu gewinnen und sich als Repräsentanten eines Allgemeineren […] anzubieten, sei es Wohlstand, Gesundheit, nationale Identität, Freiheit, Gerechtigkeit oder Frieden, verfallen sie in der Moderne der Relativierung und Kritik. Ihre partikularistischen Lösungen des Kontingenzproblems erscheinen dann in exponierter Weise als kontingent« (481). Ebenfalls mit Blick auf religiöse Minderheiten, aber generalisierend notieren Pollack und Rosta: »Wenn es denn richtig sein sollte, dass Religion ihre Funktion nur erfüllen kann, sofern sie in der Lage ist, ihre Sinnformen der Kontingenz zu entziehen, sind die mit Ansprüchen auf Höchstrelevanz und absolute Gültigkeit auftretenden Religionsformen offenbar besonders fragil. Dann werden die Grenzen ihrer Mobilisierungsfähigkeit ebenso verständlich wie das plötzliche Zusammenbrechen ihrer Strukturen. In vormodernen Gesellschaften sind religiöse Lehren und Praktiken auf eine selbstverständliche und unbezweifelbare Art gültig, in modernen Gesellschaften bedürfen sie der Legitimation«. (482)

Die religiöse Bearbeitung von Kontingenz wird ausdrücklich nur im Zusammenhang kleinerer religiöser Strömungen und Gruppen thematisiert. Ob daraus geschlossen werden kann, dass die Kontingenzbearbeitung bei größeren religiösen Traditionen unproblematisch ist oder im Gegenteil keine Rolle (mehr) spielt, thematisieren Pollack und Rosta nicht – jedenfalls nicht explizit. Im Übrigen ist – jedenfalls in systemtheoretischer Perspektive – klar, dass jede religiöse Weise der Kontingenzbearbeitung immer nur religiös plausibel sein kann und nicht von außen – etwa politisch, rechtlich, wissenschaftlich oder künstlerisch – gesehen. Und selbstverständlich sind religiöse Minderheitenpositionen stärker der Kontingenz ausgesetzt als religiöse Mehrheitspositionen. Das gilt nicht nur für Religion, sondern auch etwa für Wirtschaftspraktiken, politische Programme, wissenschaftliche Erkenntnisse, Kunst und andere gesellschaftliche Bereiche. Beispielsweise ist es für eine neue, wenig verbreitete wissenschaftliche Erkenntnis schwieriger, Anerkennung zu erhalten – also nicht als kontingent, sondern als wahr zu gelten –, als eine verbreitete und etablierte (Kuhn 1996).

Sodann kommt die Kontingenzthematik mit Blick auf gesellschaftstheoretische Fragen, nämlich im Zusammenhang mit der funktionalen Differenzierung, zur Sprache. Unter Rückgriff auf die Diskussion im theoretischen Eingangskapitel konstatieren Pollack und Rosta, dass die funktionale Bestimmung von Religion als Kontingenzbewältigung zu unspezifisch sei. »Diese Eigenschaft kommt […] allen gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen zu mit der Folge, dass religiöse Fragen zwar an allen Selektionen aufbrechen können, der funktionale Bezug der Religion aber verschwimmt« (469). Deshalb vermuten die Autoren, »dass vor allem diese funktionale Unterbestimmtheit für die religiöse Inkompatibilität mit den Prinzipien der funktionalen Differenzierung verantwortlich ist. […] Religion kann sich […] mit einer Vielzahl an Interessen verbünden und durch Interessenkumulation ihre soziale Relevanz steigern. Gerade aufgrund ihres universellen Zuständigkeitsanspruchs ist die Bestimmbarkeit ihrer Funktion jedoch eingeschränkt« (470). Und weiter heißt es: »Aufgrund ihres Unüberbietbarkeitsanspruchs kann Religion die Leistungen, die sie zweifellos zu erbringen vermag, nicht selbst auf einen von ihr unterscheidbaren Zweck beziehen – etwa auf subjektives Wohlbefinden, körperliche und psychische Gesundheit, politische Ordnungsstabilisierung, Gerechtigkeit oder Frieden – und muss daher die Antwort auf die Frage, warum man sich auf sie einlassen sollte, schuldig bleiben. Die absichtslose, nur um ihrer selbst willen erfolgende Verinnerlichung ihrer Sinnformen ist insofern eine wichtige Voraussetzung ihrer Wirksamkeit. Das aber heißt, dass die Bewusstmachung, Spezifikation und Steigerung ihrer Funktion ihrer Effektivität im Wege stehen«. (471)

Abgesehen davon, dass die »Verinnerlichung« von Religion nur eine unter anderen semantischen und sozialstrukturellen Möglichkeiten ist, geht der Erklärungsansatz – systemtheoretisch gesprochen – mit Hilfe der Unterscheidung von Selbst- und Fremdreferenz sowie von Funktion und Leistung auch meiner Ansicht nach in die richtige Richtung. Allerdings bedürfte es dazu eingehenderer Erwägungen. Die von Pollack und Rosta angeführte Ubiquität, mit der Religion bei jedem sozio-kulturellen Sachverhalt ansetzen kann, ist nicht spezifisch für sie und noch nicht zwangsläufig ein Indikator oder gar ein Grund für ihre Diffusität. Man denke nur an den Siegeszug der Kommunikationsmedien Geld in der Wirtschaft und Macht in der Politik, die heute an allen sozio-kulturellen Vorgängen ansetzen können. Im Prinzip ist jedes ausdifferenzierte gesellschaftliche Subsystem dazu in der Lage, alles in der je eigenen Rationalität zu beobachten. Allerdings setzt die Fremdreferenz eine stabile Selbstreferenz voraus, und da liegt offenbar, wie Pollack und Rosta zeigen, eine Schwachstelle von Religion. Die zentrale Frage ist daher, ob und gegebenenfalls wie Religion als Sinnform und als eine gesellschaftliche Funktion die Bearbeitung des Bezugsproblems der Kontingenz mittels der Unterscheidung transzendent/immanent zusammenbringt. Außerdem ist in diesem Zusammenhang das Problem eines möglicherweise mangelnden oder unspezifischen Kommunikationsmediums zu nennen, das Kommunikation in Richtung Religion kanalisieren und zentralisieren kann. Andererseits wissen wir noch nicht genug über die Lage von Religion in der Weltgesellschaft über die segmentäre Differenzierung in einzelnen Ländern und in einzelnen Religionen hinaus. Es ist gut möglich, dass Religion weltgesellschaftliche Strukturen ausbildet, mit denen die von den Autoren genannten gegenläufigen Prozesse der diffusen Spiritualität und des isolierten Fundamentalismus komplementär vermittelt werden. Immerhin ist die Vermittlung von »Entbettung« und »Einbettung« bei anderen gesellschaftlichen Bereichen unter weltgesellschaftlichen Bedingungen zu erkennen. Beispielsweise ist in der Wirtschaft einerseits der Finanzmarkt längst eine entbettete Sache abstrakter, computervermittelter Information geworden (Muellerleile 2013), während sich andererseits einzelne Produkt- und Dienstleistungsmärkte in kulturelle Besonderheiten einbetten (Gudeman 2001). Aber solange keine entsprechenden Analysen hinreichenden Ausmaßes vorliegen, haben Überlegungen dieser Art für den Fall der Religion allenfalls den Status einer Hypothese.[11]

3.2 Die Unterscheidung transzendent/immanent

Das zweite Definitionselement, nämlich die Unterscheidung transzendent/immanent, kommt im Vergleich mit der Kontingenzthematik häufiger zur Sprache, wird aber mit dem zweiten Defintionselement nicht systematisch in Beziehung gesetzt. Eine Reihe von Items der zugrunde liegenden Umfragen steht für bestimmte semantische Ausprägungen der Vermittlung von Transzendenz und Immanenz. Beispielsweise bezeichnen Pollack und Rosta den Glauben an ein Leben nach dem Tod und den Wunderglaube als Formen eines »Transzendenzglaubens« (136ff.). Vor allem aber kommen die Autoren auf Weisen der Vermittlung von Transzendenz und Immanenz im Zusammenhang des Gottesglaubens und des Glaubens an ein höheres Wesen zu sprechen; etwa im Zusammenhang von Analysen der religiösen Lage in Deutschland und den Niederlanden sowie in anderen westeuropäischen Ländern: »Für die meisten der Gläubigen in den beiden untersuchten Ländern ist Gott […] ein unpersönliches Wesen oder eine höhere Macht, deren Wirken sich nicht direkt erfahren lässt […].[12] Religiöse Vorstellungen weisen auch in anderen westeuropäischen Ländern eine Tendenz zur Verflüssigung auf […]. Die Zunahme ihrer Bejahung beruht möglicherweise in starkem Maße darauf, dass sie als vage Imaginationen weniger leicht kritisierbar und negierbar sind als konkrete Transzendenzvorstellungen. Mit ihrer Entkonkretisierung geht aber auch ihre individuelle Relevanz zurück. Sowohl in den Niederlanden als auch in Westdeutschland ist für Menschen mit einer unbestimmten Gottesvorstellung Religion nach eigenem Bekunden weniger wichtig als für jene, die an einen persönlichen Gott glauben« (223f.). Außerdem geht eine positive Haltung gegenüber diffusen Transzendenzvorstellungen mit einer negativen Haltung gegenüber religiösen Institutionen einher (475). Das sind interessante Befunde zum Verhältnis zwischen verschiedenen religiösen Semantiken und ihrer individuellen Relevanz als einem Umweltkorrelat von Religion. An anderer Stelle heißt es: »Und wenn Personen mit entpersönlichten Transzendenzvorstellungen, wie wir in den Niederlanden, Italien und Westdeutschland gesehen haben, Religion als weniger wichtig einschätzen als Personen mit einem persönlichen Gottesbild, dann bestätigt auch die Tendenz zur Verflüssigung der religiösen Vorstellungen noch einmal, dass Religion im Vergleich zu anderen Lebensbereichen an Bedeutung einbüßt«. (231)

Religion verliert den Befunden zufolge für Personen – als ein fremdreferentieller Zurechnungsmodus gesellschaftlicher Kommunikation (Luhmann 1995a) – an Relevanz, büßt damit aber nicht zwangsläufig auch für die Gesellschaft selbst an Bedeutung ein.

Pollack und Rosta resümieren: »Auch wenn Religion und Moderne […] durchaus kompatibel sind und Modernisierung nicht unausweichlich zu Säkularisierung führt, ist die Wahrscheinlichkeit negativer Konsequenzen der Modernisierung auf Religion relativ hoch« (484). Was aber heißt »negative Konsequenzen«? Für wen oder was bestehen sie? Unter kapitalistischen Bedingungen sind im globalen Maßstab sehr viele Personen vergleichsweise stark von über Geldflüsse regulierten wirtschaftlichen Partizipationsmöglichkeiten weitgehend ausgeschlossen; die absolute, aber auch die relative Armut ist in einzelnen Ländern und im System der Weltwirtschaft sehr hoch. Bedeutet das jedoch, dass die Modernisierung »negative Konsequenzen« für die Wirtschaft hat? In der Politik sind seit einiger Zeit ein Rückgang der Wahlbeteiligung und ein Politikverdruss zu verzeichnen, aber geht deshalb die Bedeutung der Politik in der modernen Gesellschaft zurück? Die Kunst war immer schon eine Sache von wenigen. Doch ist sie deshalb gesellschaftlich weniger relevant? Der Blick auf »individuelle Relevanz« und »individuelle Aneignung« ist interessant, um Aussagen zum Verhältnis zwischen religiösen Semantiken und der Sozialform Person treffen zu können, und in begrenztem Maße dafür (nämlich von der demand-Seite aus), die Weisen und das Ausmaß der Inklusion von Personen in religiöse Sozialformen (wie etwa Gruppen und Organisationen) zu ermitteln. Unter den Bedingungen von Modernisierung verliert Religion für Individuen als eine bestimmte Form gesellschaftlicher Fremdreferenz an Bedeutung. Religion scheint sich mit Individualität als einem der sozialstrukturellen Kennzeichen der modernen Gesellschaft nicht gut zu vertragen. Das belegen die Analysen von Pollack und Rosta auf eindrückliche Weise. Auch eine >Individuen-Religion<, die auf mehr oder minder diffuse Innerlichkeit abstellt, scheint da keine Abhilfe zu leisten. Immer aber handelt es sich bei >Individuen< und >Menschen< um ein Umweltkorrelat von Religion als einem gesellschaftlichen Bereich, ebenso wie das bei der Gesellschaft insgesamt der Fall ist (Luhmann 1995b). Auf das Verhältnis zwischen Religion und moderner Gesellschaft kann mit den Analysen, wie sie Pollack und Rosta durchführen, schon allein der Operationalisierung und der Art des verwendeten Datenmaterials wegen nicht geschlossen werden. Das scheinen die Autoren – trotz gelegentlich anderslautenden Formulierungen – insgesamt auch nicht zu beabsichtigen. Der Ansatz bleibt, wie notiert, einem methodologischen Individualismus mit Rekurs auf das Bewusstsein, den Emotionshaushalt und das Handeln von Individuen in der Tradition Max Webers verpflichtet. Pollack und Rosta haben auf höchstem Niveau einen analytisch und insgesamt konsistenten Beitrag zur quantitativen Religionsforschung hinsichtlich der Adressierung auf individuelle Haltungen gegenüber Religion geleistet. Analytisch und theoretisch problematisch würde es erst, wenn man die Aggregation von religionsbezogenen Aussagen von Personen mit Religion und ihrer gesellschaftlichen Funktionsweise gleichsetzte. Denn in diesem Fall würden die emergenten Eigenstrukturen von Sozialformen jenseits der Person, von Gesellschaft und somit auch von Religion als einem gesellschaftlichen Subsystem nicht in den Blick kommen oder gar ausdrücklich bestritten. Wie sich Religion als eine Sinnform auf der Basis der Unterscheidung transzendent/immanent und als eine Funktion der Konstitution eines gesellschaftlich notwendigen Welthorizontes angesichts des Bedeutungsverlustes für Individuen als ein Umweltkorrelat entwickelt, bleibt eine empirisch und theoretisch offene Forschungsfrage – eine Frage, die zu stellen die Analysen von Pollack und Rosta inspirieren. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Religion als ein gesellschaftliches Subsystem – in welcher Form und Semantik auch immer – ohne starke fremdreferentielle Adressierung von Individuen sowie die Inklusion von Personen in einem größeren Ausmaß auskommt und sich unter dieser Bedingung vielleicht sogar intensiviert, wie das beispielsweise der Kunst in der modernen Gesellschaft zu gelingen scheint.

Zitierte Literatur

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  1. »Jede evolutionstheoretische Behandlung morphogenetischer Fragen hat […] besonders darauf zu achten, wie Formen der Variation und Formen der Selektion getrennt werden. Darin (und nicht etwa in Periodisierungen mit Fortschrittsrichtung) liegt heute das besondere Kennzeichen von Evolutionstheorien« (Luhmann 2002 [2000]: 253).
  2. Das steht auch Pollack und Rosta vor Augen: »Sozialstrukturell entsteht das Kontingenzproblem durch die Selektivität aller sozialen Strukturen und Prozesse. Soziale Strukturen und Prozesse stehen stets in einem Horizont weiterer Möglichkeiten, die durch sie nicht realisiert sind, aber doch gleichwohl realisiert werden könnten. Sie sind mithin notwendig kontingent, weshalb die Sinnfrage an allen sozialen Strukturen, Prozessen und Ereignissen aufbrechen kann. [...] Kontingenz kann auf der individuellen Ebene jedoch auch perzipiert und erlebt werden« (64).
  3. Thomas Rentsch (2015) unterscheidet die folgenden Dimensionen von Transzendenz: die ontologische und kosmologische Transzendenz, die menschliche Existenz sowie die Sprache.
  4. Das ist beispielsweise bei Luckmanns Konzept der »unsichtbaren Religion« der Fall (Luckmann 1967) – allerdings mehr noch in dessen Adaption, derzufolge Fußball, Bodybuilding und vieles andere Religion sein soll.
  5. Etwa eine der von Franz-Xaver Kaufmann identifizierten Funktionen: »(1) Identitätsstiftung, (2) Handlungsführung, (3) Kontingenzbewältigung, (4) Sozialintegration, (5) Kosmisierung, (6) Weltdistanzierung « (Kaufmann 1989: 85). Mit der vorgeschlagenen Unterscheidung von Intension und Extension sind die anderen Funktionsbestimmungen Ableitungen und Erweiterungen der Funktion der Kontingenzbewältigung.
  6. Unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung gilt: »Das Individuum kann nicht mehr durch Inklusion, sondern nur noch durch Exklusion definiert werden” (Luhmann 1989: 158).
  7. Vgl. statt vieler Robert Campany (2003: 319): »Religions do not exist, at least not in the same way that people and their textual and visual artifacts and performances do. And when religions are metaphorically imagined as doing things, it becomes harder to see the agents who really and nonmetaphorically do things: people”. Dementsprechend spricht Steffen Führding (2015: 12f.) u.a. mit Bezug auf Peter Antes (1979) und Manfred Hutter (2003) von »einem weitgehenden Konsens darüber […], dass es sich bei der postphänomenologischen Religionswissenschaft um eine empirische und humanwissenschaftliche Disziplin handelt«. Empiriebezug sollte selbstverständlich sein, aber was ein »humanwissenschaftlicher« Ausgangspunkt und was an »people« »real« und »nicht-metaphorisch« sein soll, erschließt sich mir nicht. Hingegen teile ich die von Wolfgang Gantke (2015: 39) geäußerte Vermutung: »Vielleicht ist eine neue Offenheit für das Phänomen des Heiligen nur dann erreichbar, wenn zuvor die heute noch vorherrschende >humanegoistische Anthropozentrik< überwunden wird.« Diese Auffassung muss jedoch nicht eine Revitalisierung der Religionsphänomenologie zur Folge haben, wie das in Gantkes Argumentation der Fall ist. In einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Religionsforschung ist >das Heilige< das Resultat einer kommunikativen Zuschreibung und somit ein genuin sozio-kultureller Sachverhalt.
  8. Man muss »von verschiedenen emergenten Ebenen des Ordnungsaufbaus der Realität ausgehen […], die den Menschen sozusagen durchschneiden« (Luhmann 1995b: 271). Daher »bleibt nur die Möglichkeit, den Menschen voll und ganz, mit Leib und Seele, als Teil der Umwelt des Gesellschaftssystems anzusehen« (Luhmann 1997: 30).
  9. Vgl. den viel zitierten Anfang des religionssoziologischen Kapitels in Wirtschaft und Gesellschaft: »Eine Definition dessen, was Religion >istWesen< der Religion, sondern mit den Bedingungen und Wirkungen einer bestimmten Art von Gemeinschaftshandeln zu tun, dessen Verständnis auch hier nur von den subjektiven Erlebnissen, Vorstellungen, Zwecken der Einzelnen — vom >Sinn< — aus gewonnen werden kann, da der äußere Ablauf ein höchst vielgestaltiger ist” (Weber 1980: 245). Freilich ist die Religionsforschung nicht auf die Alternative von entweder »subjektiven Erlebnissen, Vorstellungen, Zwecken der Einzelnen « oder einer »Wesensbestimmung« von Religion beschränkt. Dazwischen liegt die sozialkonstruktivistische Rekonstruktion von Religion als einem gesellschaftlichen Sachverhalt.
  10. Mit Blick auf die religionssoziologische Klassik müsste dafür statt auf einen methodologischen Individualismus zum Beispiel auf die unterschiedlich akzentuierenden Ansätze Georg Simmels oder Émile Durkheims zurückgegriffen werden.
  11. In dieser Hinsicht interessante Analysen sind bei Bayly (2004: 325ff.) und Petzke (2013) zu finden.
  12. Vgl. – mit einem ähnlichen Duktus – für Westdeutschland: Pollack/Rosta (134, 143, 224), für die Niederlande: 197, für Europa insgesamt: 351.
  13. Eine Replik von Detelf Pollack und Gergely Rosta auf die Kritik von Volkhard Krech und anderen Kommentator_innen findet sich in der Ausgabe 2/2016 der Zeitschrift für Soziologische Theorie.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jasper Korte.

Kategorien: Religion Gesellschaft

Volkhard Krech

Volkhard Krech ist Professor für Religionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und Direktor des Käte Hamburger Kollegs “Dynamiken der Religionsgeschichte” sowie des Centrums für Religionswissenschaftliche Studien” (CERES). Zu seinen Forschungsinteressen zählen: Religionstheorie und Theorie der Religionsgeschichte, religiöse Pluralisierung und Globalisierung, Sakralisierungsprozesse, Religion und Gewalt, Religion und Kunst sowie Wissenschaftsgeschichte der Religionsforschung.

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