Eva von Redecker | Interview |

Die diffuse Angst, zu kurz zu kommen

Sechs Fragen an Eva von Redecker

Verbote und Gebote sind aus dem Alltag hoch regulierter, verrechtlichter Gesellschaften nicht wegzudenken. Warum empören sich dennoch so viele, wenn Verbote zum Schutz des Klimas gefordert werden?

Nun, es gibt ja auch Empörung über andere Verbote. Der Bruch mit bisherigen Gewohnheiten führt häufig zu größeren Widerständen als deren Fortsetzung, selbst wenn die Fortsetzung immer unbequemer und unvernünftiger wird. Aber ich würde zwei besondere Quellen der Empörung über Klimaschutzregelungen hervorheben: Erstens geht es hier oft um Einschränkung von bislang vermeintlich rechtmäßig genossenem Komfort. Es schien vielen selbstverständlich, dass wir die Natur verbrauchen dürfen. In Form von Konsumgütern gehörte einem das Zeug ja. Und wo die Fortsetzung solcher Verfügung erschwert wird, macht sich eine Amputationsangst breit, ein Gefühl von Verlust, gegen das man ankämpft wie gegen den Diebstahl von Eigentum. Solche Verteidigung von Phantombesitz ist aber kein sozialpsychologischer Automatismus. Er macht sich insbesondere dann breit, wenn es andere, reale Enteignungsprozesse gibt, die aber schwer zu fassen sind. Das ist bei der anonymen Herrschaft von Marktgesetzen der Fall, allgemein in der Konkurrenz und nochmal besonders beim Kompetenzverlust durch eine neoliberale Digitalisierung, der die meisten von uns passiv gegenüberstehen. Das wäre also der zweite Quell der Empörung: dass Menschen ohnehin schon von einer diffusen Angst, zu kurz zu kommen, belastet sind.

In seinem Buch Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geiste des Unterlassens beklagt der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies eine zu große staatliche Zurückhaltung bei der Formulierung von Verboten zum Schutz von Klima, Ressourcen und Artenvielfalt. Teilen Sie die Diagnose? Brauchen wir mehr staatliche Verbote?

Das kommt darauf an, wo diese Verbote ansetzen. Ich glaube nicht, dass wir viele individuelle Verbote brauchen. Wir brauchen eine Umstellung der Produktion. Und ja, ein Gebot zu ökologischer Landwirtschaft ist natürlich ein Verbot konventioneller; eine Vergesellschaftung der Energieversorgung ist ein Verbot privaten Fossilkapitals. Diese Verbote bräuchte es meiner Meinung nach. Aber am dringendsten braucht es nicht Verbote, sondern Investitionen, zum Beispiel in die Verkehrswende. Wenn wir auch auf dem Land einen kostenfreien, gut ausgebauten Nahverkehr hätten, müssten wir viel weniger Autos verbieten.

Deutschland ist nur ein Staat neben vielen anderen. Sind Verbote zum Schutz der Umwelt und des Klimas auf nationaler Ebene überhaupt sinnvoll, wenn sie nicht wenigstens von Teilen der Staatengemeinschaft unterstützt werden?

Sinnvoll selbstverständlich. Demokratische, gesamtgesellschaftliche Anstrengungen zu Klimaschutz und Natur-Regeneration sind eines der wenigen säkularen Projekte im Anthropozän, die unserer kollektiven Existenz Sinn verleihen könnten. Dem täte auch eine Niederlage keinen Abbruch. Denn natürlich rettet der Klimaschutz in einem Staat das 1,5- Grad-Ziel nicht. Allerdings darf man auch nicht unterschätzen, wie viel besser eine Gesellschaft, die aufhörte, die Klimakatastrophe zu verdrängen, auf sie vorbereitet wäre. Dann kämen Rationierungs- und Notfall-Maßnahmen nicht von außen, sondern würden in ihrer Notwendigkeit erkannt.

Kritiker wie Wolfgang Sofsky erachten Verbote als kontraproduktiv, weil sie Menschen provozieren und zur Übertretung herausfordern. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen scheinen diese Position zu bestätigen. Schaden Verbote also mehr als sie nützen?

Gut. Wenn das so ist, dann lassen Sie uns mal die unsinnigen Verbote, sich um das überflüssige Eigentum besonders Begüterter zu kümmern, überwinden. Aber im Ernst: Die Corona-Maßnahmen sind doch ein sehr spezielles Beispiel für misslungene, punktuelle und punitive Verbote. Es wurden Regeln erlassen, die zu befolgen unterschiedlichen Menschengruppen ganz unterschiedlich leichtfiel, je nach Wohnraum, Arbeitsplatz, Sorgeverpflichtungen. Die Freizeit wurde gestoppt, die Arbeit sollte weiter gehen. Und die Intensivkapazität der Krankenhäuser wurde wie eine natürliche Grenze behandelt, anstatt dass der medizinische Sektor massiv um- und ausgebaut wurde. Es gab also eine Irrationalität in den Maßnahmen und die machte es dann leicht, eine noch größere Irrationalität gegen sie aufzuwiegeln. Trotzdem haben selbst diese suboptimalen Verbote hier in Deutschland ungefähr 100.000 Menschenleben gerettet. Angesichts dessen liegt es mir fern, sie als abschreckendes Beispiel heranzuziehen.

Manche Liberale betrachten staatliche Verbote als Einschränkungen individueller Freiheitsrechte und lehnen sie ab. Dabei kennt die Geschichte des Liberalismus durchaus Beispiele für Verbote, die individuelle Freiheit allererst ermöglicht haben, etwa das Verbot der Sklaverei. Kann man in Verboten also auch Instrumente zum Schutz der Freiheit sehen?

Ja, natürlich. Aber damit das Verbot zum Schutz wird, muss ihm eben auch soziale und politische Macht entsprechen. Dem Verbot der Sklaverei in den US-Südstaaten gingen die Revolution in Haiti, Flucht und Widerstand versklavter Menschen und ein Bürgerkrieg voraus. Gegenwärtig mobilisieren Appelle gegen emanzipative Gesetzgebung eine massive faschistoide Energie. Wenn dem nicht genug entgegensteht, wird aus Verboten keine Transformation.

Wären Sie zu individuellem Konsumverzicht bereit? Und auf was würden Sie verzichten oder verzichten Sie schon?

Sehen Sie, ich lebe im Moment in einem Gefühl größter Fülle. Ich kann halbwegs vom Schreiben leben, was allein ja schon ein unverschämtes Glück ist. Und ich weiß, dass mir eine Reihe von Freund:innen über die Runden helfen würden, wenn ich es nicht könnte. Das ist ein noch größeres Glück. Ich lebe an einem Ort, an dem auch bei weiterer Erwärmung einiges ökologisch intakt bleiben könnte. Meine Verzichtsbereitschaft hat gewisse idiosynkratische Lücken: Ich könnte wirklich nur sehr mühsam vegan werden. Aber der Großteil dessen, was ich jetzt schon seit Jahren mache – nicht in Europa fliegen, im Winter mit 15 Grad Innentemperatur leben, nur Lebensmittel aus Bio-Anbau kaufen – erscheint mir als Luxus. Und das liegt nicht nur an meinen perversen Vorlieben, sondern auch daran, dass mir die Bedingungen gegeben sind, diese Aspekte reibungslos in mein Leben einzufügen. Gesellschaftlicher Wandel muss sich darauf konzentrieren, solche Bedingungen herzustellen, anstatt abstrakt um das Für und Wider von Verboten zu ringen.

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut von Jens Bisky.

Kategorien: Affekte / Emotionen Demokratie Globalisierung / Weltgesellschaft Kapitalismus / Postkapitalismus Konsum Ökologie / Nachhaltigkeit Politik Sozialer Wandel

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Eva von Redecker

Die feministische Philosophin Eva von Redecker war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat 2015 an der New School for Social Research in New York unterrichtet. 2020 erschien ihr Buch „Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen“.

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